Als Gesundheitsregion zusammenstehen!

10 Jahre Netzwerk Gesundheitswirtschaft Münsterland e.V. - Forum "Vernetzte Versorgung" in der Hafenkäserei Münster

Mit gerade einmal 14 Mitgliedern ist das Netzwerk Gesundheitswirtschaft Münsterland e.V. 2009 angetreten, um die medizinische Versorgung in der Region zu optimieren. Heute vernetzen sich bereits mehr als 50 regionale Akteure über den Verein und die Mitgliederzahl wächst stetig. Zu den Mitgliedern zählen Unternehmen, Versorger, Kammern und Hochschulen, die insgesamt mehr als 100.000 Mitarbeiter beschäftigen. Jetzt hat das Netzwerk Gesundheitswirtschaft Münsterland e.V. mit über 80 Gästen in der Hafenkäserei sein zehnjähriges Bestehen gefeiert - und stellte sich der Frage, wie die Gesundheitsversorgung im Münsterland in der digitalisierten Zukunft aussehen kann.

Auf dem Programm standen neben anregenden Gesprächen über die Zukunft des regionalen Gesundheitswesens eine Reihe von Vorträgen über „Perspektiven zur vernetzten Versorgung und zu IT-Lösungen im Gesundheitswesen“, moderiert von Vereinsgeschäftsführerin Monique Bruns. Über allem stand die Frage: Welche Potenziale bietet die voranschreitende Digitalisierung im Gesundheitswesen und welche Chancen und Herausforderungen entstehen dadurch im Münsterland?

Als Netzwerk fest zusammenhalten

Vorstandsmitglied Prof. Dr. Norbert Roeder beschreibt das Netzwerk Gesundheitswirtschaft Münsterland e.V. als regionales Kompetenz- und Kommunikationszentrum der Gesundheitswirtschaft. Ein wichtiger Aspekt der Netzwerkarbeit sei der Wissenstransfer zwischen den Mitgliedern. Die positive Entwicklung der regionalen Gesundheitsversorgung wird im Netzwerk gefördert durch Programm- und Projektmanagement, die Unterstützung bei der Fördermittelakquise und durch die Organisation von Veranstaltungen, wie dieser Vortragsreihe zur „Vernetzten Gesundheitsversorgung“.

Roeder warb in seinem Grußwort für Standhaftigkeit und Gemeinsamkeit im Angesicht des unvermeidlichen Strukturwandels im Gesundheitswesen: „Ein Sturm wird über das Land ziehen und Krankenhäuser umwehen. Und dieser Sturm wird sich nicht gezielt bestimmte Krankenhäuser aussuchen, die er umweht. Er  weht die Häuser um, die am weningsten Widerstand bieten können. Wir als Region müssen bei allem Wettbwerb im Münsterland zusammenstehen, die Versorgung der Bevölkerung gemeinsam gestalten und als innovatives Münsterland auch in unserem Gesundheitsministerium sichtbar sein. Hierbei kann das Netzwerk gut unterstützen.“

Portalpraxen

Martin Neubürger, Leiter des Geschäftsbereichs Notfalldienst der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, hat das Konzept der Portalpraxen näher beleuchtet. Hier werden Patienten im Notfall außerhalb der Sprechzeiten niedergelassener Ärzte empfangen und je nach Schweregrad und Dringlichkeit entweder vor Ort, im Krankenhaus oder in der entsprechenden Notfallarztpraxis weiterbehandelt. Neubürger hat in diesem Rahmen Projekte vorgestellt, mit denen bei verbesserter Vernetzung der Gesundheitsversorger untereinander eine deutlich verbesserte Behandlung der Patienten ermöglicht werden kann.

So ist in einem Projekt in Westfalen Lippe die Service-Hotline 116117, die unter anderem außerhalb regulärer Sprechzeiten dabei hilft, eine geöffnete Notfallpraxis zu finden, mit der Notrufnummer 112 zusammengelegt worden. Dadurch können Notfälle frühzeitig erkannt und „gewöhnliche“ Notfallpatienten an entsprechende Praxen oder Kliniken verwiesen werden.

Smarte Ideen

Dr. Kathleen Spring von der Gesellschaft für Bioanalytik Münster e.V. hat anhand des „continuum of care“-Prinzips gezeigt, wie Entwicklungen in der Medizintechnik für eine neue Art der Arzt-Patienten-Beziehung sorgen werden. Spring sieht eine Veränderung unter anderem durch den verstärkten Einsatz von Smartphones und anderen Gadgets im Gesundheitsbereich, wie den „SMARTSTICK“ der Firma CibX GmbH aus Greven, einen Gehstock, der bei den Angehörigen alarmschlägt, wenn sein Besitzer gestürzt ist. Sie ist überzeugt: „Patienten werden immer mehr in ihr eigenes Gesundheitsmanagement eingebunden und dadurch viel mehr zum gut informierten Kunden. Darauf müssen sich die Ärzte einstellen.“

Effiziente Gesundheitsversorgung braucht Vernetzung

Der Referent für Regionale Vernetzung der St. Franziskus-Stiftung Münster Philipp Potratz sieht die Interoperabilität als eine Kernherausforderung der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Interoperabilität besteht in der Medizin dann, wenn klar definierte, relevante Informationen im Kontext einer spezifischen klinischen Situation – zum Beispiel in Form einer Patientenakte – übermittelt und entsprechend verarbeitet werden können.

Das St. Franziskus-Hospital ist Teil des „I/E-Health“-Projekts, in dem sich zahlreiche Gesundheitsversorger darauf geeinigt haben, einheitliche und den Empfehlungen der IHE folgende Software und Semantik beim Erstellen und Verarbeiten der Patientenakten zu nutzen. So ist gewährleistet, dass Patienten auch beim Wechsel in eine andere Klinik oder in eine andere Praxis reibungslos weiterbehandelt werden können.

Laut Potratz seien große Unternehmen wie Apple, Google oder Amazon durch gesammelte Datenmengen und gezielte Zukäufe von kleineren Unternehmen längst die großen Player auf dem Gesundheitsmarkt. Eine gut vernetzte Gesundheitsregion könnte jetzt geeint Einfluss auf die Entwicklung nehmen, statt sich von den Tech-Riesen ein System diktieren zu lassen. Darum sagt Potratz: „Wenn wir an der Digitalisierung und an der Entwicklung von künstlichen Intelligenzen im Gesundheitswesen beteiligt sein wollen, müssen wir da jetzt gemeinsam mit der Politik einen Einstieg finden. Und wenn wir das digitale Gesundheitswesen auch wirklich zu einem intelligenten Gesundheitswesen machen wollen, müssen wir jetzt zusammen Regeln setzen.“

Telemedizin im Münsterland

Dr. med. Christian Juhra, Leiter der Stabsstelle Telemedizin am Universitätsklinikum Münster, sieht die Zukunft der Gesundheitswirtschaft in der Digitalisierung und spricht über Telemedizin und digitale Krankenhäuser. In ersten Tests mit einer Puppe sei es sehr gut gelungen, aus einer Fachklinik heraus per „Teleschockraum“, also über eine Videoschalte und Monitorüberwachung bei einem Notfalleingriff in einem nicht spezialisierten Krankenhaus zu assistieren. Über TELnet@NRW sind schon jetzt von den Universitätskliniken Aachen und Münster ausgehend 17 Kliniken und zwei Ärztenetze in Nordrhein-Westfalen miteinander verbunden. Das bietet zum Beispiel die Möglichkeit, Tele-Visiten in der Intensivmedizin und der Infektologie durchzuführen. Mit „oVID“ bietet das UKM zudem als Teil eines Netzwerks von 45 Kliniken ein offenes und sicheres System zur Video-Kommunikation an, mit dem beispielsweise Visiten und Sprechstunden durchgeführt werden können. Gerade in personalintensiven Bereichen können Patienten so noch effizienter versorgt werden.

In Anbetracht der Fortschritte in der Telemedizin sieht Juhra einen Umbruch in der ärztlichen Versorgung voraus. „Das alte Konzept `Hausarzt‘ muss neu gedacht werden, wenn Patienten auf medizinische Erstberatung, Rezepte und Krankschreibungen zukünftig bequem online zugreifen können.“ Gerade in ländlichen Regionen und der Ambulanz könnten telemedizinische Konzepte Entlastungen und eine verbesserte Versorgungsqualität gewährleisten.

Aber auch Juhra kritisiert explizit Apples Einfluss auf das Gesundheitswesen. Der Tech-Riese verfüge über die größte kardiologische Datenbank der Welt. „Es kann also gut sein, dass Sie in Zukunft von Ihrer Apple-Watch gewarnt werden, dass Sie mal einen Arzt aufsuchen sollten, weil das System in Ihrem Puls eine Unregelmäßigkeit feststellt. Es ist grundsätzlich erstmal gut, rechtzeitig gewarnt zu sein, aber ich weiß nicht, ob ich das wirklich über Apple erfahren möchte.“

Vorbild Niederlande

Dr. Ronald Spanjers,Vorstandsmitglied des Roessingh Concern in Enschede (NL) und Vorstandsvorsitzender des ZorgNetOost – ein dem Netzwerk Gesundheitswirtschaft Münsterland e.V. ähnlicher Zusammenschluss – hat zum Schluss einen Einblick in regionale Versorgungsnetzwerke in den Niederlanden gegeben. Er zeigt am Beispiel der Region Twente, wie ein starkes Netzwerk die Versorgung der Patienten optimieren kann. Das ZorgNetOost verfügt bereits über eine einzigarte IT-Infrastruktur, mit der Hausärzte, Apotheker und andere Gesundheitsversorger einfach und sicher Patientendaten austauschen können. Spanjers gibt den Deutschen den Rat: „Be patient“ und meint damit einerseits: „Seid geduldig“. Neue Systeme einzuführen brauche seine Zeit. Anfangs seien neue Systeme technisch nicht einwandfrei und das sei sogar verzeihlich. Nur anfangen müsse man und dann das System geduldig umsetzen und die Abläufe der Prozesse anpassen. „Be patient“ meint aber auch: „Versetzt Euch in die Lage des Patienten. Wenn wir einen Aspekt in das System einbauen, der dem Patienten nicht hilft, wird sich das nicht durchsetzen. Wenn wir das also merken, ist es besser, diesen Aspekt sofort aus dem System zu entfernen.“

Monique Bruns, die in den Niederlanden bereits maßgeblich am ZorgNetOost mitgewirkt hat und jetzt Geschäftsführerin des Netzwerks Gesundheitswirtschaft Münsterland e.V. ist, fasst die Aufbruchsstimmung der Jubiläumsfeier zusammen: „Wir haben viele positive Impulse bekommen und müssen es jetzt gemeinsam wagen, Innovationen einzuführen und bestehende Denkmuster hinter uns zu lassen.“