BUURTZORG: Ausweg aus dem Pflegenotstand?

FH Münster und Hochschule Osnabrück evaluieren ein neues ambulantes Pflege-Modell

Der Pflegenotstand ist allgegenwärtig, auch im Münsterland. Einer der Gründe ist: Pflegeberufe sind für viele junge Leute nicht attraktiv genug. Wie das geändert werden kann, zeigt sich beim Blick über die Grenze. Schon seit über zehn Jahren gibt es in den Niederlanden das Pflegemodell „Buurtzorg“, übersetzt Nachbarschaftshilfe. Hier setzt man auf flache Hierarchien und eine enge Einbindung in die Gemeinden vor Ort. Mit großem Erfolg. Aber: Funktioniert das auch in Deutschland? Wie sind die Erfahrungen aus zwei Jahren „Buurtzorg“ in NRW? Das wollen die FH Münster, die Hochschule Osnabrück und das Netzwerk Gesundheitswirtschaft Münsterland e.V. (GeWi) mit Förderung des GKV Spitzenverbandes jetzt gemeinsam herausfinden.

Münsterland 30. Jan. 2020 –Über 10.000 Mitarbeitende sind inzwischen in den Niederlanden in „Buurtzorg“-Teams organisiert. Und auch im Münsterland gibt es Teams, u.a. in Hörstel, Emsdetten oder in Münster. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Pflegenden arbeiten völlig selbstbestimmt in kleinen Gruppen, eng eingebunden in die örtlichen Gemeinschaften. Die Abrechnung erfolgt bei den Buurtzorg-Teams nicht wie in Deutschland üblich nach Leistungskomplexen, sondern nach Zeitfenstern. So bleibt mehr Zeit für die konkreten Bedürfnisse der Pflegebedürftigen. „Die räumliche und persönliche Nähe von Pflegenden und den Kunden steigert die Zufriedenheit auf beiden Seiten“, so Cornelia Gang, Geschäftsführerin von Impulse Pflegedienst. Der Impulse Pflegedienst und die Sander Pflege sind Pioniere: In 2018 haben beide Pflegedienste eine der ersten Teams in Deutschland in Buurtzorg-Teams umgewandelt.

Das Projekt „Buurtzorg Evaluation“ wird vom Netzwerk Gesundheitswirtschaft Münsterland e.V. federführend begleitet. Geschäftsführerin Monique Bruns: „Eins zu eins lässt sich das niederländische Modell nicht anwenden, dazu sind die rechtlichen Rahmenbedingungen zu unterschiedlich.“ In Deutschland gebe es bisher andere Finanzierungslogiken als in den Niederlanden. Den Krankenkassen sei es aus rechtlichen Gründen nicht möglich, von heute auf morgen das System zu ändern. „Aber genau da setzen wir an: Diese wissenschaftliche Evaluation, die wir hier in NRW vorhaben, kann dazu beitragen, eine Änderung herbeizuführen.“

Die Erfahrungen aus den Niederlanden und aus dem Münsterland wecken einen positiven Eindruck. Professor Andreas Büscher, Professor für Pflegewissenschaften an der HS Osnabrück sagt dazu: „Buurtzorg kann – wie andere Initiativen auch – einen wichtigen Innovationsimpuls setzen, den Aufbruch zum Neuen mitzugestalten.“ Jetzt gehe es darum, das Modell auf wissenschaftlicher Ebene mit dem traditionellen ambulanten Pflegemodell zu vergleichen und zu evaluieren. „Wir möchten Erkenntnisse über ein neues Arbeits- und Organisationsmodell gewinnen und die Kompatibilität mit dem geltenden System der ambulanten Pflege in Deutschland auf Ebenen der Leistungsgestaltung, -finanzierung und der Qualitätssicherung der Pflege erforschen“, erklärt Prof. Rüdiger Ostermann, Dekan des Fachbereichs Gesundheit der FH Münster. Das Kick-Off-Meeting des Projektes „Buurtzorg Evaluation“ findet am 30. Januar 2020 in Münster statt.

Sollten die Ergebnisse der wissenschaftlichen Evaluation nach Vollendung der angedachten drei Projektjahren für das Buurtzorg-Modell in Deutschland positiv ausfallen, sind Änderungen im System durchaus denkbar. Denn der Bedarf nach einem guten ambulanten Pflegemodell ist da. Was übrigens auch der GKV-Spitzenverband so beurteilt und das Projekt im Rahmen des Modellprogramms zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung nach § 8 Abs. 3 SGB XI fördert. Prof. Büscher fasst es so zusammen: „Ziel ist es, den Pflegenden wieder den Raum zu geben, das zu tun, was sie anfangs veranlasst hat, den Beruf zu ergreifen: Die Pflege!“

Bild: Martin Großmann: v.l.n.r.: Gunnar Sander, Prof. Rüdiger Ostermann, Prof. Andreas Büscher, Eva Gruber, Iris Feldmann, Monique Bruns, Cornelia Gang, Tobias Becker.